Bernd Grouven – Meine Geschichte
Als ich im Sommer 2011 von einem Trittbrett abrutschte wurde ich mit der Diagnose eines Leistenbruchs konfrontiert. Der Leistenbruch sollte im Dezember 2011 durch eine Operation behoben werden. Bei einer ausgiebigen Voruntersuchung war der Leistenbruch auf dem Ultraschallbild sehr gut zu erkennen. Der Routineeingriff zur Versorgung des Leistenbruchs endete mit der Schockdiagnose: Krebs!
Während der Operation fand der Operateur ein schleimiges Sekret vor, das sich vornehmlich am Bauchfell festgesetzt hatte. Herd dieses Schleims war ein entzündeter Blinddarm, aus dessen Spitze das Schleimsekret in die freie Bauchhöhle gelangte.
Bis zu diesem Tag hatte ich keinerlei Beschwerden, alle Laborwerte waren in Ordnung, und selbst mit einem modernen Ultraschallgerät waren die Symptome der Krankheit nicht zu erkennen gewesen. Ohne diesen Zufallsfund hätte ich womöglich noch eine geraume Zeit beschwerdefrei gelebt, ohne zu ahnen, dass sich ein Tumor in der Bauchhöhle ausbreitete.
Der Wurmfortsatz ( Blinddarm ) wurde dann während der Leistenbruchoperation entfernt. Der übrige Schleim aus der Bauchhöhle, der z. T. auch schon an den Organen anhaftete, wurde abgespült und danach abgesaugt. Der Laborbefund bestätigte eine seltene Krankheit mit dem Namen:
Pseudomyxoma Peritonei
Die Diagnose lautete wie folgt:
– niedrig maligner muzinöser Tumor – low grade Pseudomyxoma Peritonei
Als Konsens der interdisziplinären Tumorkonferenz war eine Hemikolektomie rechts (rechter Teil des Dickdarms) und eine HIPEC Behandlung geplant. Der OP Termin wurde noch für die gleiche Woche anberaumt.
Die wenigen Tage bis zur anberaumten OP nutzte ich intensiv, um mir im Internet ein Bild von meiner Krankheit zu machen. Die im Netz verfügbaren Informationen zur Therapie dieser Erkrankung waren sehr dürftig. Die meisten Informationen waren auf englischsprachigen Seiten nachzulesen. Dennoch gelang es mir so viel über diese Erkrankung zu erfahren, dass ich zumindest als Laie auf diesem Gebiet die Zusammenhänge kritisch hinterfragen konnte. In zahlreichen Krebsforen hatte ich von mehreren Fällen gelesen, wo Patienten einfach falsch behandelt wurden und die Krankheit wieder ausgebrochen war.
Mein behandelnder Arzt nahm sich ausreichend Zeit, um meine zahlreichen Fragen zu beantworten. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, dass die Klinik ( größte Klinik in der Region ) nur wenig Erfahrung mit der Behandlung dieser Krankheit hatte. Eine Maschine, die zur OP benötigt wurde, sollte ausgeliehen werden und war schon per Spedition unterwegs. Auf meine Frage hin, wer denn die Maschine während der OP bedient, stellte der behandelnde Oberarzt fest, dass er zumindest schon mal einen Lehrgang zum Bedienen der Maschine absolviert hatte.
Aus meiner Sicht fehlte den behandelnden Ärzten genügend Erfahrung mit dieser Behandlungsmethode und so entschloss ich mich – entgegen dem ausdrücklichen Rat der behandelnden Ärzte- mich selbst zu entlassen, obwohl ich bei der Entlassung noch kein neues Krankenhaus gefunden hatte. Und das war sicherlich die richtige Entscheidung, denn später erfuhr ich, dass ein Arzt erst nach 140 Operationen die optimale Erfahrung für eine solch komplizierte Operation mit sich bringt.
Die Suche nach der richtigen Klinik erwies sich im Internet schwieriger als gedacht und ich landete immer wieder auf englischsprachigen Seiten. Als einzig möglichen seriösen Kontakt kristallisierte sich Prof. Sugarbaker aus Washington heraus, von dem auch zahlreiche Publikationen zu diesem Thema zu finden waren. Aber wer lässt sich schon im Ausland operieren? Mit dem Hinweis meiner Krankenkasse, dass für eine OP in den USA keine Leistungsübernahme möglich war, schied eine Behandlung in den USA endgültig aus.
In meiner Not hatte ich auch zwei befreundete Ärzte sowie einen Arzt aus der Familie konsultiert. Aber keiner konnte mir weiterhelfen, und auch keinem war die Spezialbehandlung HIPEC bekannt.
Während ich nächtelang weiter im Internet suchte bekam ich am 2. Weihnachtstag den Anruf einer sehr guten Freundin, die über eine junge Frau namens Lena aus dem Nachbarort berichtete. Lena war auch an dieser seltenen Krankheit erkrankt und ihr Arzt, der auch gleichzeitig ihr Chef war, hatte nach langer Suche ein Krankenhaus in Regensburg zur Behandlung ausfindig gemacht.
Bei meiner Nachfrage im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Regensburg bekam ich die Information, dass man im Jahr ca. 120 Operationen meinem Krankheitsbild entsprechend durchführt. Der Kontakt zum Prof. Piso kam schnell und unkompliziert zustande, und ich nahm die weite Fahrt (500 km) in Kauf, um mich vor Ort zu informieren.
Herr Professor Piso nahm sich in einem Vorgespräch sehr viel Zeit und klärte mich umfassend über die Krankheit und die Art der Operation auf. Kurz entschlossen stimmte ich einem OP-Termin am 27.01.2012 zu.
Die verbleibende Zeit nutzte ich intensiv zur sportlichen Betätigung, so ging ich jeden Tag Joggen und auch morgens zum Schwimmen.
Bei der 10 stündigen Operation wurde jeglicher Schleim entfernt. Neben Milz, Galle und einem Teil des Dickdarms mussten auch Teile des Bauchfells heraus genommen werden. Eine sehr aufwändige Chemobauchspülung wurde noch während der Operation durchgeführt, und sollte dann jeden noch verbleibenden Rest des Schleims entfernen oder abtöten. Die OP und die anschließende Heilphase verliefen ohne Komplikationen. Zitat Professor Piso (3 Tage nach der OP): „Die Operation ist zwar ohne Komplikationen verlaufen, aber sie war auch notwendig.“ Trotz der in der Spülung befindlichen Zytostatika ergaben sich keine Nebenwirkungen, weder Übelkeit noch Haarausfall. Nach 2 Tagen auf der Intensivstation wurde ich auf die normale Station verlegt und sofort mobilisiert. Nach bereits 2 Wochen wurde ich entlassen und ging in eine 3 wöchige REHA Maßnahme. Die 500 km weite Rückfahrt gestaltete sich jedoch im Privat PKW als sehr anstrengend, da mich jede noch so kleine Bodenwelle an meine lange Narbe erinnerte.
Der weitere Heilungsverlauf verlief ohne Komplikationen. Dank meinem Sportprogramm vor der Operation hatte ich sehr schnell meine alte Kondition wiedererlangt, und erreichte bereits nach ca. 4 Monaten eine Lebensqualität wie vor der Operation – bis auf die Einschränkung nicht schwer heben zu dürfen und beim Essen sorgfältig darauf zu achten, welche Speisen ich zu mir nehme.
Kurz nach der OP habe ich Lena dann persönlich getroffen, über die ich nach meiner Diagnose den Weg nach Regensburg gefunden hatte. Gemeinsam fuhren wir zu einem Ärztekongress nach Düsseldorf und lernten Prof. Sugarbaker kennen, der dort von einer großen Selbsthilfegruppe Pseudomoxoma Peritonei in den USA berichtete. Ein Foto vom PMP Pals Network, auf dem über 300 Mitglieder zu sehen waren, inspirierte uns auch eine Selbsthilfegruppe in Deutschland zu gründen.
Wir möchten mit dieser Selbsthilfegruppe Menschen helfen, die an Pseudomyxoma Peritonei erkrankt sind. Unser Ziel ist es, die Betroffenen aufzuklären, ihnen Hintergrundinformationen zu liefern und ihnen die mühselige Suche nach der richtigen Klinik zu erleichtern.
Eine Behandlung der oben beschriebenen Krankheit sollte nur in dafür spezialisierten Zentren erfolgen, da die Art der Operation in Deutschland noch nicht zur Standardbehandlung gehört.